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Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) im Sommerinterview mit der serbischen Tageszeitung Blic

Im Rahmen unserer Sommerinterviewreihe erscheinen in der auflagenstärksten serbischen Tageszeitung Blic sowie dem Newsportal blic.rs mehrere Interviews mit österreichischen Spitzenpolitikern.

Bundeskanzler Sebastian Kurz spricht im Interview über die Verpflichtung der EU gegenüber den Westbalkan-Staaten, die Beziehungen zwischen Belgrad und Priština, österreichische Investments in Serbien sowie die politische Partizipation der in Österreich lebenden Serbinnen und Serben.

 

 

Hier geht’s zum Interview mit Blic / blic.rs:

https://www.blic.rs/vesti/politika/sebastijan-kurc-za-blic-evropa-mora-da-odrzi-svoja-obecanja-na-balkanu-ako-ostavimo/1t7gb92

 

Wie beurteilen Sie die politische Teilhabe der in Österreich lebenden Serbinnen und Serben? 

Die serbische Community ist eine sehr gut integrierte, engagierte Bevölkerungsgruppe, wie auch zahlreiche Erhebungen zu Menschen mit serbischem Migrationshintergrund in Österreich belegen. Und wenn jemand gut integriert ist, dann bringt er oder sie sich auch insgesamt aktiver in das gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Leben ein. Das sehen wir auch bei Serbinnen und Serben, die in Österreich leben.

 

Setzen Sie und Ihre Partei sich für die Interessen der Serbinnen und Serben in Österreich ein und in welcher Weise?

Als Volkspartei setzen wir uns für die Interessen aller Menschen ein, die einen Beitrag für unser Land leisten. Im Fall der Serbinnen und Serben in Österreich machen wir uns etwa schon lange für einen EU-Beitritt Serbiens stark. Dieses Ziel werden wir auch in Zukunft im Blick behalten, pflegen wir als Österreich doch mit dem gesamten südosteuropäischen Raum und insbesondere mit Serbien besonders gute Beziehungen.

Gibt es in Ihrer Partei serbischstämmige Mitglieder?
In der Volkspartei sind alle willkommen, die sich in Österreich politisch engagieren möchten und unsere Werte teilen. Das ist es, was für uns zählt – nicht der Geburtsort oder der Migrationshintergrund.

 

Sie haben kürzlich in einem Interview gesagt, dass Serbien es verdiene „für seine Fortschritte auf dem europäischen Weg belohnt zu werden“, und die Kritik an der Arbeit der serbischen Regierung sei „unbegründet“. An welche Belohnung dachten Sie, da Serbien im Jahr 2020 keine neuen Verhandlungskapitel eröffnet und nur zwei abgeschlossen hat?

Serbien ist ein Anker der Stabilität am Westbalkan und hat unter Präsident Vucic viele Wirtschaftsreformen vorangetrieben. Ich hoffe daher, dass es bald zu einer Eröffnung von Clustern in den Verhandlungen mit Serbien kommen wird, die es erlauben werden, die EU-Annäherung Serbiens in vielen Bereichen weiter voranzutreiben. Das ist nicht nur im Interesse Serbiens, sondern muss auch Interesse der Europäischen Union sein. Das habe ich mit Präsident Aleksandar Vucic und Premierministerin Ana Brnabic vor kurzem in Belgrad auch persönlich besprochen.

 

Wie viel Verantwortung trägt dabei die serbische Regierung und wie viel die Europäische Union?Europa muss seine Zusagen einhalten und weiterhin allen Westbalkanstaaten eine glaubwürdige Beitrittsperspektive bieten. Österreich hat daher diesen Sommer eine Konferenz mit allen Westbalkanstaaten organisiert, damit dem Westbalkan wieder mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird in Europa. Zugleich ist es natürlich wichtig, dass alle Staaten am Westbalkan, darunter Serbien, ihre Reformen ambitioniert vorantreiben. Neben den Wirtschaftsreformen, sind auch die rechtsstaatlichen Reformen von großer Bedeutung für die Entwicklung Serbiens, sowie der Region.

 

Österreich bekennt sich nachdrücklich zur europäischen Perspektive des Westbalkans, worüber kein Konsens zwischen den EU-Mitgliedsstaaten besteht. Wie kann Österreich Serbien konkret helfen, auf diesem Weg schneller voranzukommen, und wie kommentieren Sie die Tatsache, dass so viele EU-Mitgliedsstaaten gegen die Erweiterung sind?

Wir werden Serbien weiterhin mit Know-How unterstützen bei Reformen und uns in der EU konsequent für die Beitrittsperspektive aller Westbalkanstaaten einsetzen. Das ist auch europäischer Konsens und wird auch Thema sein beim informellen Europäischen Rat Anfang Oktober in Ljubljana.

 

Wie kommentieren Sie die aktuellen Beziehungen zwischen Belgrad und Priština? Ist die EU irgendwo gescheitert, angesichts der Umstände, dass das Brüsseler Abkommen nicht umgesetzt wird, Serben im Kosovo angegriffen werden, Kulturgüter gefährdet sind? Die kosovarische Regierung hat lehnt auch das Washingtoner Abkommen ab, ebenso wie die Initiative „Offener Balkan“. Wie sieht Österreich all diese Schritte und hat es Einfluss auf den Dialog Belgrad – Priština in Brüssel? Sehen Sie eine Lösung?

Weitere Fortschritte im Dialog zwischen Belgrad und Pristina sind notwendig für Fortschritte im Beitrittsprozess. Es ist wichtig, wieder mehr Dynamik in diese Verhandlungen zu bringen, dafür müssen sich beide Seiten bewegen. Der EU-Sondergesandte Miroslav Lajcak genießt jedenfalls  unsere volle Unterstützung. Wir begrüßen eine enge Kooperation der EU mit den USA.

 

Die Außenpolitik Serbiens geht in gewissen Segmenten an der EU-Politik vorbei, insbesondere in Bezug auf Russland und China. Wie machbar ist dieses „Auf zwei Stühlen sitzen“?

Es ist allen Beteiligten klar, dass im Zuge der EU-Annäherung auch die außenpolitischen Positionen der EU übernommen werden sollten. Ich sehe hier jedenfalls keine unüberwindbaren Hürden.

 

Wie beurteilen Sie den wachsenden Einfluss Chinas in Europa, sehen sie das als Bedrohung bzw. gibt es Anlass zur Sorge?

Europa muss seine Zusagen am Westbalkan einhalten. Wenn wir ein Vakuum hinterlassen, dann werden es andere, wie China oder die Türkei, füllen. Niemand wird sich aber zwischen der EU oder China entscheiden müssen. Vielmehr geht es um gute Beziehungen mit China auf Augenhöhe ohne neue Abhängigkeiten zu schaffen. Gute Beziehungen sollten zu China wie der EU auch weiterhin möglich sein.

 

Warum weigern Sie sich kategorisch Flüchtlinge aus Afghanistan aufzunehmen? Handelt es sich nur um eine unverhältnismäßige Verteilung innerhalb der EU oder gibt es noch etwas anderes, zumal Sie dafür plädieren, dass Flüchtlinge von den umliegenden Nachbarländern Afghanistans aufgenommen werden sollen?

Österreich hat mit über 44.000 Afghanen bereits die viertgrößte afghanische Community weltweit pro Kopf. Die Integration von Afghanen gestaltet sich aufgrund des meist niedrigen Bildungsniveaus und der unterschiedlichen Wertehaltungen sehr schwierig. Wir konzentrieren uns daher auf Unterstützung für die Nachbarn Afghanistans und stellen dafür 20 Mio. € bereit. Damit soll Afghanen Schutz und Hilfe in der Region geboten werden.

 

Wer ist Ihrer Meinung nach hauptverantwortlich für die aktuelle Situation in Afghanistan? Die meisten Zeigefinger zeigen in Richtung amerikanischer Regierung…Glauben Sie, dass es zu Eskalationen kommen könnte, unter denen die ganze Welt leiden wird?

Die Entwicklungen in Afghanistan waren dramatisch. Schuldzuweisungen bringen aber niemanden weiter. Wir müssen nun gemeinsam massiv Druck auf die Taliban ausüben, Frauen- und Menschenrechte zu respektieren. Es darf nicht der gesamte Fortschritt, der die letzten 20 Jahre erzielt wurde, wieder zunichte gemacht werden.

 

Österreich ist kein NATO-Mitglied. Kann auch Serbien auf dem europäischen Weg die militärische Neutralität wahren, zumal viele ausländische Interessen auf dem Balkan ineinander verflochten sind?

Es gibt in der EU bereits einige militärisch neutrale Mitgliedsstaaten. Das sollte daher auch für Serbien möglich sein, wenn dies der Wunsch der serbischen Regierung sein sollte.

 

Wie beurteilen Sie Serbiens Kampf gegen die Covid19 Pandemie und den Impfgrad? Auch Österreich beginnt im Herbst mit der 3.Dosis und erwägt die Einführung einer Impfplicht…

Serbien hat im Kampf gegen COVID einige Erfolge erzielt, vor allem wie die serbische Impfkampagne Anfang des Jahres angelaufen ist, war vorbildhaft. Unsere Antwort auf das Virus ist die Impfung. Sie schützt vor schwerer Erkrankung und Tod sehr effektiv, ich rufe daher alle dazu auf, die es noch nicht getan haben, sich impfen zu lassen, um sich selbst und andere zu schützen. Mit den Impfungen können wir auch weitere Lockdowns verhindern.

 

Die in Österreich lebenden Serbinnen und Serben sind die größte ethnische Bevölkerungsgruppe in Österreich, wie wichtig sind sie für das politische Leben Österreichs und wie gehen Sie mit serbischstämmigen Wählern um?

Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass alle Menschen in unserem Land wichtig für das politische Leben in Österreich sind. Dabei machen wir auch keinen Unterschied zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen: Es ist nicht wichtig, woher jemand kommt, sondern welcher Beitrag geleistet wird – egal, ob im Beruf, im Bereich des Ehrenamtes oder auch im privaten Umfeld. Insbesondere die serbische Community zeichnet sich hierbei durch ein hohes Maß an Integrationsbereitschaft und Teilhabe am öffentlichen Leben aus und leistet somit einen wichtigen Beitrag für unser Land.

 

Wie sind die aktuellen Wirtschaftsbeziehungen zwischen unseren beiden Ländern und planen österreichische Unternehmen neue Investitionen in Serbien?

Serbien ist Österreichs wichtigster Handelspartner am Westbalkan mit einem Handelsvolumen von über 1 Mrd. €. Über 400 österreichische Unternehmen sind teils erfolgreich am serbischen Markt tätig und schaffen über 22.000 Arbeitsplätze. Es gibt noch viel Potential für den weiteren Ausbau unserer bereits engen Wirtschaftsbeziehungen.

 

Sie haben verkündet bald Vater zu werden. Wie bereiten Sie sich auf diese „Rolle“ vor?

Meine Lebensgefährtin und ich freuen uns schon sehr darauf.

 

Ende

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